Nach der Weltpremiere seines neuen Films „45 Years“ im offiziellen Wettbewerb der 65. Berlinale hat Martin mit Autor, Produzent, Cutter und Regisseur Andrew Haigh (WEEKEND) gesprochen. „45 Years“ war für einen Oscar (beste Hauptdarstellerin Charlotte Rampling) nominiert.
Die Deutschland-Premiere von Haighs LOOKING: THE MOVIE, dem Abschlussfilm der im Interview erwähnten Serie, eröffnete das 6. Filmfest homochrom in Köln. Die gesamte Serie plus Film ist kürzlich auf DVD/Bluray erschienen.
Martin: Deine Karriere fing langsam an mit ein paar Kurzfilmen, dann dem Film „Greek Pete“ und „Weekend“ wurde international gefeiert. Dann kam die Serie „Looking“ und „45 Years“ ist dein erster heterosexueller Film. Wie hat sich das entwickelt? Wie siehst du selbst deine Karriere?
Andrew: Es dauerte lange, bis sie ins Rollen kam. Dann nach „Weekend“ kam alles so schnell. „Looking“ passierte, wir haben schon zwei Staffeln gemacht. „45 Years“ wurde zwischen den Staffeln gedreht. Es waren einfach unglaubliche, verrückte, arbeitsreiche drei Jahre. Tatsächlich habe ich „45 Years“ fast zur selben Zeit wie „Weekend“ geschrieben, kaum dass „Weekend“ fertig war. Er war seit einiger Zeit in Vorbereitung. Für einige wirkt es wie eine echte Veränderung: erst mache ich all die schwul-thematischen Filme und auf einmal nicht mehr. Aber das Seltsame ist, dass es sich für mich nicht seltsam anfühlt. Die Geschichten fühlen sich für mich viel ähnlicher an. Obwohl es von einem älteren Hetero-Paar handelt, geht es dennoch um Beziehungen – worum es ja auch in „Weekend“ geht. Darum kam es mir nie seltsam oder ungewöhnlich vor.
Martin: Du hättest „45 Years“ auch aus einer schwulen Perspektive erzählen können. Warum hast du dich für ein Heteropaar entschieden? Hast du auf deine Eltern geschaut oder hattest du andere Vorbilder?
Andrew: Ich bin in vielerlei Hinsicht mehr an der Komplexität von Beziehungen interessiert als an Sexualität. Mich interessiert, wie wir als Mensch durch unser Leben navigieren, die Leute und die Entscheidungen, die wir treffen, wie wir sie treffen, und weniger das Schwulsein. Ich bin schwul und ich interessiere mich fürs Schwulsein, aber ich machte die früheren Filme, weil sie mir am nächsten lagen. Das ist einfacher, wenn man anfängt. Es war keine bewusste Entscheidung, jetzt einen Heterofilm zu machen, damit ihn mehr Leute sehen. Ich wollte einfach einen Film über Beziehungen machen. Es ist schon wahr, dass wenn man etwas Homo-Thematisches macht, übernimmt der schwule Anteil alles andere im Film. Ich verstehe das, weil so wenige Homo-Sachen gemacht werden, aber ich finde das manchmal frustrierend.
Martin: „Weekend“ hatte in Deutschland wenig Presse.
Andrew: Das hat mir jemand erzählt und ich finde es seltsam. Im Rest der Welt war die Presse viel größer, besonders in England und den USA. Ich weiß nicht, woran das liegt.
Martin: Es mag am Verleih liegen, aber unser Eindruck ist eh, dass die deutsche Presse sich ungern mit schwulen Themen befasst. Im angelsächsischen Feuilleton geht es mehr darum, ob Filme gut sind. In Deutschland scheinen sie Angst vor Homo-Filmen zu haben und decken mehr den Mainstream ab.
Andrew: Das ist schade. Die USA waren die größte Überraschung, obwohl man es dort nicht erwartet. Vielleicht liegt es daran, dass die Weltpremiere in einem amerikanischen Festival stattfand. Die Leute mochten ihn dort, er sprach sich rum. In Deutschland wurde er nicht in Berlin gezeigt.
Martin: Hast du versucht, „Weekend“ in die Berlinale zu bekommen?
Andrew: Ja, haben wir und wurden abgelehnt.
Martin: Manchmal bin ich sehr überrascht von deren Auswahl.
Andrew: Das hat mich wirklich deprimiert. Es ist toll, dass ich jetzt mit „45 Years“ dabei bin. Aber ich war schon vorher mit einem Kurzfilm bei der Berlinale gewesen, kannte einige schwule Programmierer und dachte: das macht Sinn. Aber er wurde abgelehnt.
Martin: Und die HBO-Serie „Looking“?
Andrew: Die ist wesentlich größer als meine Filme bislang. Wir haben sehr viel mehr Geld. Das Budget für eine Folge ist mehr als für „45 Years“. Es sind nur halbstündige Episoden, aber man hat eine Crew von 150 Leuten. Das ist sehr seltsam.
Martin: Bei den Filmen „Weekend“ und „45 Years“ hattest du nur die Schauspieler, wenige Kamera- und Tonleute…
Andrew: Das haben wir sehr klein gehalten. Auch jemand wie Charlotte Rampling wusste, dass wir es sehr klein halten würden. Ich finde, das hilft.
Martin: Ich finde, du erschaffst eine sehr intime Atmosphäre.
Andrew: Ja, ich glaube, das macht wirklich einen Unterschied. Man kann das auch in einem großen Set erschaffen, man muss nur alle aus dem Raum schicken. Auch beim Dreh von „Looking“ sorge ich dafür, dass niemand in der Nähe ist. Aber es wird schon anders, wenn man es klein hält. „Weekend“ war winzig, kaum Leute, und meinen ersten Film „Greek Pete“ habe ich alleine gedreht.
Martin: Wie gehst du an große Schauspieler heran? Tom Cullens Karriere hat ja erst mit „Weekend“ angefangen. Aber für „45 Years“ hast du mit sehr bekannten Darstellern gearbeitet: Charlotte Rampling und Sir Tom Courtenay.
Andrew: Als ich sie zuerst traf, war ich eingeschüchtert. Man hat durch ihr Werk eine Vorstellung davon, wer Charlotte Rampling ist. In Wahrheit ist sie eine entzückende, süße, gemeinschaftliche Person. Beim Treffen verschwanden alle Vorannahmen und sie ist faszinierend, umgänglich, sehr ehrlich. Sie weiß, wenn etwas funktioniert oder nicht. Mit ihr zu arbeiten war ziemlich ähnlich wie mit Tom Cullen. Man hat dieselben Gespräche. Wenn man jemanden kennen lernt, vergisst man schnell, dass sie berühmt sind. Zudem bin ich nicht der Regisseur, der ihnen ständig sagt, was sie zu tun haben. Ich erschaffe einen Raum, wir diskutieren die Charaktere, die Geschichte, die Herangehensweise. Und dann formt man das. Aber sie sind gute Schauspieler und ich möchte das Beste von ihnen. Ich vertraue ihnen. Viele Regisseure scheinen ihren Schauspielern nicht zu trauen. Für mich ist Schauspiel etwas so Unglaubliches, dass ich ihnen einfach gerne zuschaue und es zulasse.
Martin: Wie viele Takes brauchst du ungefähr, bis du hast, was du möchtest?
Andrew: Das variiert. Was es schwer macht, ist, dass wir in den Szenen nicht viel schneiden. Viele Szenen sind durchgehend gedreht. In der Küche folge ich ihnen. Deswegen muss die ganze Szene gut sein. Darum macht man schon einige Takes. Man kann auch technische Probleme haben: das ist eine tolle Aufnahme, aber das Bild ist nicht scharf. Aber ich mag nicht zu viele Aufnahmen, weil man sich dann langweilt und es zu eingeübt wirkt. Meist ist es die erste Aufnahme oder die letzte. Ich habe selten mittlere Aufnahmen benutzt.
Martin: Schaust du dir überhaupt die mittleren Aufnahmen an?
Andrew: Ich sehe sie mir an, aber meist die erste und letzte. Gewöhnlich ist die erste die instinktive Wahl der Schauspieler, in den anderen versuchen sie, es in eine etwas andere Form zu bringen, und bei der letzten glaubt man, es getroffen zu haben. Oft denkt man, die letzte Aufnahme wäre die beste, und dann ist es doch die erste. Es kann auch sein, dass man an Set denkt, die Aufnahme wäre gut, aber im Schneideraum funktioniert sie nicht mehr. Wenn man sie mit anderen Szenen zusammenstellt, ändert das, wie die Szene oder Aufnahme funktioniert.
Martin: Mit den kleinen Filmen hattest du mehr Freiheiten. Wie frei warst du bei „Looking“?
Andrew: Der Schöpfer Michael Lannan und ich arbeiten gut zusammen, haben dieselben Vorstellungen. HBO ist gut darin, einem Freiheiten zu geben.
Martin: Sie können sich erlauben, Kanten zu haben.
Andrew: Auch würden Filmemacher nicht gern mit ihnen arbeiten, wenn sie zu stark Kontrolle ausübten. Der größte Unterschied ist, dass es eine TV-Sendung ist. Da herrscht eine andere Einstellung. Fernsehen und Fernsehmachen ist so anders. Wir haben zwei Monate, um alle Episoden zu schreiben, fünf Drehtage pro Folge und drei Tage, um eine Folge zu schneiden. Nicht wie beim Film, wo man so viel Zeit hat und sein Publikum finden kann. Beim Fernsehen muss man verstehen, wie man eine größere Zuschauerschaft reinholt, denn TV ist teurer. Die Zuschauer werden es vielleicht auf einem Smartphone oder Tablet schauen und nicht im Kino. Deswegen muss man die Herangehensweise ändern.
Martin: Die US-Kritiken für „Looking“ waren etwas weniger gut, als ich die Serie empfunden habe. Wie war das für dich? Wie war’s für HBO, die ja schon die zweite Staffel abgesegnet haben?
Andrew: Es war frustrierend. Als zur Erstausstrahlung die ersten gedruckten Kritiken rauskamen, waren die wirklich gut: im New Yorker, LA Times, Hollywood Reporter. Die Kritiker hatten die ersten vier Folgen gesehen. HBO war wirklich glücklich. Dann geschah etwas Seltsames: gewisse, laute Stimmen, meist aus der Gay-Community, Blogger und Autoren, entschieden, dass sie es nicht mochten. Ich lese alles, was geschrieben wird, ständig.
Martin: Tut das weh?
Andrew: Es frustriert mich. Es basiert auf ihren Erwartungen, wie sie die Sendung gerne hätten, und nicht, wie die Sendung ist. Ein Typ schrieb etwas, über das alle anderen schrieben – um ehrlich zu sein, ein schlecht urteilender und geschriebener Text. Basierend auf Vorannahmen, wie die Serie sein würde, was sie aber nie sein sollte und auch so nicht kommuniziert wurde. Ich verstehe, worum’s geht. Es gibt so wenig schwule Darstellungen, dass sie selbst dargestellt werden wollen. Das können wir nicht. Wir stellen diese Charaktere dar und wie wir die Welt sehen. Einige sind davon erzürnt.
Martin: Aber auch „Queer As Folk“ oder „The L Word“ haben nicht die ganze Szene abgebildet.
Andrew: Das Problem ist, wenn gewisse laute Stimmen in der Szene es nicht mögen, hält es andere davon ab, es zu verteidigen, obwohl sie es mögen, insbesondere Heteros. „Wir können es nicht verteidigen, wenn diese Schwulen es nicht mögen. Vielleicht haben sie Recht.“ Leute können im Netz lauter und fortwährend laut reden.
Martin: Ich mag nicht, wie Leute etwas shitstormen, all ihren Groll auf die Welt an einem Ding auslassen.
Andrew: Das Traurige ist: es beeinflusst die Chancen, dass die Serie fortgesetzt wird. Man braucht die Unterstützung der Szene, um sie fortzusetzen. Ich glaube wirklich, dass wenn die Serie abgesetzt wird, es im US-Fernsehen nie wieder eine Sendung über hauptsächlich schwul-lesbische Charaktere geben wird. Sie werden einsehen, dass man kein riesiges Publikum erreicht und die schwul-lesbische Szene an einem Punkt angekommen ist, dass sie Teil des Mainstreams ist. Es gibt keinen Grund, eine neue Sendung zu machen. Es ist traurig. Ich würde die Serie gern zu einem Ende bringen und noch eine Staffel zu drehen.
Martin: Also habt ihr mit der zweiten Staffel die Geschichte noch nicht zu Ende erzählt?
Andrew: Ich habe noch mehr im Sinn. Michael und ich haben immer gehofft, dass wir eine gewisse Anzahl Folgen bekommen, um unsere Geschichte zu beenden. Für mich war es ehrlich immer eine Show mit drei Staffeln. Ich mag die Idee von drei Staffeln. Wenn ich mir die Geschichte anschaue, die man hoffentlich nicht ganz versteht, bis man bis zum Ende der dritten Staffel kommt… Der Charakter Patrick ist in der ersten Staffel in einer Art Kindheit, in der zweiten ist er wie ein Teenager und in der dritten wird er erwachsen. Für mich war das eine Repräsentation, wie die Gay-Community durch ihre Jugend ging, um Teil des Mainstreams zu werden – ob zu Recht oder nicht. Darum hoffe ich, dass wir eine dritte Staffel bekommen, aber das wissen wir noch nicht. Obwohl wir gute Reaktionen bekommen und die Leute unsere Sendung mögen, gibt es immer noch diese (negativen) Stimmen. Aber das ist in Ordnung. Ich habe nie damit gerechnet, dass alle unsere Sendung mögen.
Martin: Ich war sehr überrascht von denen.
Andrew: Sie sind hauptsächlich aus New York.
Martin: Was das wohl sagt…? Staffel 2 läuft ja bereits, nicht?
Andrew: Ja, wir sind in den USA gerade bei Folge 4 und sie kommt auch hier bald raus.
Martin: Wie sind die Reaktionen zu den neuen Folgen?
Andrew: Gut. Es ist wieder dasselbe: die Kritiken waren gut, die Leute mögen es und dieselben, die es vorher nicht mochten, mögen es immer noch nicht. Sie sagen immer noch dasselbe wie beim letzten Mal. „Girls“ erlebt dasselbe: manche mögen’s, andere hassen es. Man hat unweigerlich gemischte Reaktionen. Das ist in Ordnung, man muss da nur irgendwie durchkommen und tun, was man tun möchte. Und das tun wir. Wir verändern nichts, damit es den Leuten, denen es nicht gefällt, doch gefällt.
Martin: Jetzt mit der Berlinale und „Looking“ in deinem Lebenslauf, was kommt als nächstes? Es wird doch sicherlich leichter für dich, neue Projekte zu finanzieren? Du hast bestimmt bereits neue Projekte in Arbeit, oder?
Andrew: Ja, ich habe zwei Filme, an denen wir momentan arbeiten. Ich darf sie aber noch nicht ankündigen. Sie sind gerade in Entwicklung. Aber es macht es auf jeden Fall einfacher. „45 Years“ wurde hier in Berlin gut angenommen.
Martin: Er ist sogar einer der Filme mit den besten Kritiken.
Andrew: Was fabelhaft ist. Im Wettbewerb zu sein, ist für mich so unglaublich – mit Leuten wie Werner Herzog. Terrence Malick ist irrsinnig und großartig.
Martin: Der Wettbewerb ist so abwechslungsreich, kleine Filme, Großproduktionen, Drama…
Andrew: Ein Dokumentarfilm.
Martin: (flüsternd) Eigentlich sind nach den Statuten keine Dokus erlaubt.
Andrew: Wirklich? Sie haben dennoch eine reingenommen. Aber wen kümmert’s schon? Das mag ich am Berlinale-Programm. In Cannes packen sie alle großen Regisseure in den Wettbewerb und alle anderen in Un Certain Regard oder andere Sektionen. Aber hier haben sie im Wettbewerb einen Debütfilm aus Guatemala, jemanden wie mich und dann Werner Herzog. Das ist ohne Zweifel hilfreich für meine Karriere, denn es zeigt, dass jemand mich für den Wettbewerb würdig hält. Das fühlt sich sehr gut an.
Martin: Glückwunsch dafür!
Andrew: Danke! Bei der Premiere hier dabeizusein, da denke ich zurück an die Uraufführung von „Weekend“ beim SXSW in Texas. Das war so klein, fand in einem kleinen Saal statt und es waren nicht so viele Leute dort. Der Film kam gut an, aber dennoch… Plötzlich im Berlinale-Palast zu sein, auf die Bühne zu gehen…
Martin: „Weekend“ war nicht ausverkauft?
Andrew: Die erste Aufführung… denn niemand wusste etwas über den Film.
Martin: Aber ich weiß auch kaum etwas über die Berlinale-Filme…
Andrew: Das stimmt. Aber ich nehme an… Ich weiß nicht. Es waren zirka 30 Zuschauer dort. Ich kam rein und dachte: „Oh mein Gott! Das ist furchtbar!“ Aber das Festival war fabelhaft und der Film gewann einen Preis. Alles gut. Aber die Uraufführung war grauenhaft. Jetzt in den Berlinale-Palast zu kommen, 1500 Zuschauer, das war toll, wirklich unglaublich.
Martin: Ich freu mich für dich.
Andrew: Danke.
Martin: Magst du ein bisschen über dein Privatleben reden?
Andrew: (lacht) Was möchtest du wissen?
Martin: Wie kamst du zum Filmemachen? Du fingst in deinen Dreißigern an.
Andrew: Ich habe nicht Film, sondern Geschichte studiert. Nach der Uni habe ich mich in der Industrie hochgearbeitet, erst Assistenzstellen, dann für einige Zeit im Filmschnitt, machte diese Arbeiten für fast 15 Jahre. Ziemlich lange. Drehte ein paar Kurzfilme, machte ein paar Sachen, nichts Herausragendes. Und dann hatte ich eine Art Moment, als ich vielleicht 32 war: „Okay, jetzt muss ich was machen.“ Und dann machte ich „Greek Pete“, von dem ich nicht annahm, dass ihn irgendwer sieht. Ich drehte ihn selbst mit einer Kamera an einigen Wochenenden über ein Jahr. Das führte zu „Weekend“ und es entwickelte sich, dass ich dachte, ich könnte mich Filmemacher nennen. Meine Eltern haben gar nichts mit Kunst zu tun. So etwas in einer Welt zu tun, wo deine Eltern erwarten, dass du in einem Unternehmen arbeitest, war schon etwas Anderes.
Martin: Wir können uns nicht selbst kennen oder definieren ohne die Interaktion mit anderen. Darum brauchen wir Beziehungen als soziale Wesen. Du konzentrierst dich gern auf Beziehungen und ihre Problem. Wie sieht dein Privatleben aus? Warum findest du das interessanter als z.B. Filmbiographien?
Andrew: Ich glaube, es ist, was du gerade sagtest. Woran ich eigentlich am meisten interessiert bin, ist, wie wir uns definieren, unsere Identität entdecken und wie wir entscheiden, wer wir sein wollen und die Wahlfreiheiten und die Bürden, die damit einhergehen. Beziehungen sind perfekt, um zu erforschen, wie du sagst, wie wir uns definieren. Wie in „Weekend“ diese beiden, die zusammenkommen und sich in diesem Moment neu definieren. Sie zeigen der Welt, wer sie sein wollen in der Interaktion miteinander. Ich finde das wirklich faszinierend. Darüber wurde noch nicht genug geredet. Wenn du jemanden das erste Mal kennen lernst, hast du die Möglichkeit, dich neu zu definieren: „Ich bin diese Art Mensch.“ Als ich meinen Freund traf, sagte er als erstes: „Ich möchte ein Schriftsteller sein.“ Und zu dem Zeitpunkt war er kein Autor, aber er definierte sich als jemand, der ein Schriftsteller sein möchte. Wenn man jemanden kennen lernt, dann tut man so etwas. Durchs Leben hinweg ist dies, wie wir unsere Identität verstehen und mit ihr herumspielen: durch unsere Interaktion mit anderen. Das geht alleine nicht – nicht, indem man alleine durch die Stadt läuft.
Martin: Man kann sich schon als Autor definieren. Aber man kann nicht sagen, dass man großzügig ist, ohne ein Gegenüber, zu dem man großzügig sein kann.
Andrew: Genau. Außerdem denke ich, die perfekte Situation im Leben ist, wenn wer du bist, auch das ist, was du in die Welt projizierst. Diese beiden Dinge müssen miteinander verknüpft werden. Aber der einzige Weg, es in die Welt zu projizieren, ist durch Interaktion, der Welt zu zeigen, wer du bist. Andernfalls ist es etwas Inselhaftes. Glücklichsein, falls das überhaupt existiert, kommt, wenn dein privates Selbst auch dein öffentliches ist. Das ist auch, warum in einem Homo-Kontext Vorstellungen der Selbstdefinition äußerst interessant sind. Elemente der Sexualität, Homo-Sexualität und -Beziehungen, sind mit Definitionen und Identität verbunden, mehr als in Bezug auf Sexualität an sich.
Martin: Vor ein paar Jahren gab es „Yossi“, die Fortsetzung zu „Yossi & Jagger“. Wird es jemals eine zu „Weekend“ geben, nachdem er die Kunsthochschule abgeschlossen hat?
Andrew: Das werde ich ständig gefragt. Ich hätte zu viel Angst, das zu tun. Die Wahrheit ist, ich bin stolz auf den Film in seiner – sagen wir – Geschlossenheit. Das zu Wiederholen fühlt sich irgendwie falsch für mich an. Vielleicht in zehn Jahren, wenn ich keinen anderen Film mehr machen kann, sagt jemand: „Willst du ein Sequel machen?“ – „Ja, ich mache es.“
Martin: Ich habe schon jetzt so viele Ideen.
Andrew: Es wäre interessant, es wäre… Vielleicht in zehn Jahren mache ich wieder etwas mit den Darstellern. Ich dachte immer, das wäre eine Möglichkeit. Aber ich würde es gerne in einem großen Zeitraum machen.
Martin: Ich freue mich jetzt schon drauf.
Andrew: Schauen wir, was passiert.
Martin: Danke für das Interview.
Andrew: Danke dir. Es war schön, dich getroffen zu haben. Hab ein schönes Festival.
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